In unserem Interview spricht Andreas Oy, Head of Sales Logistic Solutions Central Europe bei SSI Schäfer, über Trends bei der Kommissionierung, Nachhaltigkeit in der Tiefkühllogistik und wie Kunden den kostbaren kalten Lagerplatz kompakt nutzen können.
Die Vollautomatisierung ist bei TK-Lagern ein Trend der letzten Jahre. Mit welchen Themen kommen die Kunden hier aktuell auf Sie zu?
Das Thema Kommissionierung wird immer vordringlicher. Sie ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ein großer Treiber. Da das in der Tiefkühlumgebung keine angenehmen Arbeitsplätze sind und Mitarbeitende schwer zu finden sind, suchen die Kunden eine Automatisierungslösung. Sei es, um komplett gemischte Paletten zu bauen oder Lagen automatisch zu kommissionieren, also einzelne Lagen von Paletten artikelrein abzunehmen und dann eine gemischte Palette für den Kunden zu bauen. Das ist ein Thema, das wir auch mit unserem Partnerunternehmen Ro-ber in dem Segment stark umsetzen.
Und wir gehen jetzt noch einen Schritt weiter, dass wir im Piece Picking Einzelverpackungseinheiten handhaben können. Da haben wir eine Weiterentwicklung namens SSI Piece Picking, die auf der Logimat in diesem Jahr zum ersten Mal vorgestellt wurde. Das Innovative daran ist, dass wir über 3D- und 2D-Kameras die verschiedenen Verpackungseinheiten sowie deren Lage in einer Kiste erkennen und dann gezielt danach greifen können. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wird aus den Vermessungsdaten der Einzelstücke errechnet, wo der beste Punkt ist, um zu greifen.
Speziell auch in Deutschland wächst zum Beispiel der Bedarf für Lieferungen von vorbereitetem Essen in Kindertagesstätten immens, weil immer mehr Ganztagesbetreuung angeboten wird. Das sind natürlich kleine Mengen, die da versendet und davor kommissioniert werden müssen. Hierfür eignet sich die weiterentwickelte SSI Piece Picking Lösung unter anderem.
Der erste Kunde für das SSI Piece Picking System kam aus dem Pharmabereich. Hier müssen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten auch Seriennummern der Medikamentenverpackung erfasst werden. Das System erkennt den Barcode und weiß, dass es da nicht den Greifer ansetzen darf. Und im Greifprozess wird die Seriennummer automatisch gelesen und so erfasst, was an welchen Kunden an Medikamenten rausgegangen ist.
Wir können das Ganze als Modul so bauen, dass zwei dieser Pickmaschinen in einen 40-Fuß-Container passen. Die Lösung ist so modular aufgebaut, dass wir sie komplett in unseren eigenen Testständen austesten können. Wir müssen sie dann nur noch zum Kunden bringen und an die dortige Anlage anschließen, das ist wirklich Plug and Play und keine komplexe Inbetriebnahme mehr. Vor Ort beim Kunden wird das Modul aufgestellt und ist nach einer kurzen Testphase direkt einsetzbar. Das geht natürlich viel schneller, vor allem in Bezug auf die Inbetriebnahmezeit. Und man erlebt auch keine Überraschungen, dass dann plötzlich doch irgendetwas nicht funktioniert und ein Spezialist eingeflogen werden muss. Die innovative Lösung passt von den Abmessungen her so, dass sie genau unsere manuellen Standard-Arbeitsplätze ersetzen kann.
Die Lösung ist noch nicht in der Kühllogistik angekommen, aber das kann sich in Zukunft entwickeln. Das wird nicht lange dauern, die erwähnte Belieferung von Kindergärten oder Schulen, wo ja wirklich zwei Portionen vom einen und fünf Portionen vom anderen Gericht bestellt werden, ist eine ideale Anwendung für eine solche Lösung. Die meisten Kunden, mit denen wir sprechen, wollen keine Personalkosten senken, sondern mit der Maschine Arbeitskräftemangel ausgleichen, weil sie einfach keine Mitarbeitenden mehr finden.
Ist eine solche Lösung finanziell konkurrenzfähig angesichts dessen, dass Verpflegung in Schulen oder Kitas oft kein Cent zu viel kosten darf?
Von der Return-of-Investment-Betrachtung her schneidet eine solche Lösung im Tiefkühlbereich eigentlich sogar zweimal besser ab als im normalen Temperaturbereich. Denn Mitarbeitende, die bei Temperaturen tiefer -20 °C arbeiten, arbeiten ja in der Regel weniger als eine Stunde und müssen dann Pausenzeiten nehmen. Insofern ist die Arbeitskraft in diesem Bereich wesentlich teurer und eine Automatisierungslösung vom Kostenansatz her interessant.
Nachhaltigkeit ist ein oft gehörtes Schlagwort. Wie kann man sie im Tiefkühl-Lager erreichen?
Wir bauen fast keine Anlage mehr, bei der nicht auch Solarzellen implementiert werden. Auch bei den Unternehmen, die die Kältetechnik liefern, gehen die Entwicklungen immer weiter. Bei den Details der Gebäudearchitektur diskutiert man schon sehr intensiv, was man noch tun kann, um Kälteverluste zu reduzieren. Schon seit Jahren wird bei Neuinvestitionen deutlich energieeffizienter gebaut und besser isoliert, weit weniger Kälte geht so verloren. In Tiefkühllägern ist der Be- und Entladebereich jetzt zum Beispiel in einer 5-°C-Zone, in deren Gebäudewand Thermoschleusen sind, an denen der LKW entladen wird. Die Palette wird dann auf Fördertechnik gestellt und diese fährt durch eine Doppelschleuse in den TK-Bereich. Moderne Tiefkühllogistik-Systeme verbrauchen daher ein Bruchteil der Energie, die noch vor 20 Jahren für Standard-Tiefkühleinrichtungen erforderlich war. Da tut sich also sehr viel.
Kann man das quantifizieren?
Nach meiner Erfahrung aus vielen Kundengesprächen hat man da bestimmt den Energieeinsatz in den letzten 20 Jahren um 30 Prozent und mehr reduziert.
Beim Energieverbrauch der Technologie, die wir implementieren, laufen ständig Entwicklungen, diesen weiter zu reduzieren. Seit einigen Jahren ist es zum Beispiel absoluter Standard, dass beim Regalbediengerät, das ja viel Masse bewegt, die Bremsenergie zurückgewonnen wird und wir sie querverteilen. Das heißt, die Maschine liefert quasi als Generator Energie, wenn sie bremst oder der Hubkorb abgesenkt wird, und diese Energie wird einem Regalbediengerät einer anderen Gasse zur Verfügung gestellt, das gerade eine Beschleunigungsbewegung macht, oder an die Fördertechnik. Abhängig vom Energieversorger des Kunden könnten wir, wenn in der Anlage aktuell mehr Energie erzeugt als verbraucht wird, diese ins Netz zurückspeisen.
Es gibt gerade beim Thema Elektronik viele Entwicklungen, die in Richtung Nachhaltigkeit und Reduzierung des Energieverbrauchs gehen. Und das wird auch immer stärker gemonitort. Mit unserem System messen wir den Energieverbrauch und die Kunden definieren sich entsprechende KPIs. Und wenn da einer nicht mehr im Normbereich liegt, also grün ist, sondern auf gelb oder rot springt, dann ist sofort das Augenmerk darauf, was die Ursache ist.
Nachhaltigkeit ist ja auch Reduzierung von Lebensmittelverschwendung, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. In der Tiefkühllogistik wird vom Feld in die Verarbeitung geliefert und dann sofort schockgefrostet. Bei frischem Gemüse oder Obst im Supermarkt gibt es noch einen sehr hohen Prozentsatz, der am Ende entsorgt wird, weil er nicht abverkauft werden konnte. Im Bereich der Tiefkühllebensmittel gibt es das nicht, die Lebensmittelverschwendung durch Haltbarkeitsprobleme ist bei ihnen quasi nicht mehr vorhanden. Auch im Restaurantbetrieb können Waren portionsweise aus der Kühlung genommen und zubereitet werden, das vermeidet, dass zu viel eingekaufte Rohwaren am Ende weggeworfen werden müssen.
Merken Sie, dass die Bereitschaft oder das Interesse an einem Retrofit oder einem Ersatzbau größer wird?
Das muss man von Projekt zu Projekt beurteilen. Ein Beispiel war ein Kunde mit einer Verschieberegalanlage, was von der Technik her eigentlich schon eine gute Möglichkeit ist, sehr kompakt zu lagern und damit auch energieeffizient. Aber er ist mit dieser Anlage einfach an die Kapazitätsgrenzen gestoßen. Wir haben neben dieses Bestandsgebäude eine neues Hochregallager gebaut und alle Paletten aus der Verschieberegalanlage in dieses neue Hochregallager umgelagert. Dann hat der Kunde in seinem Bestandsgebäude die Temperatur von -22 °C auf -5 °C ansteigen lassen und wir konnten die alte Technik komplett entfernen und haben in das Bestandsgebäude nach einigen Verbesserungsmaßnahmen, am Fußboden zum Beispiel, eine bessere Isolierung und neue Kältetechnik, eine Kommissionierung in dieses Bestandsgebäude gebaut. Das ist ein schönes Beispiel, bei dem man nicht einfach einen Komplettabriss gemacht hat, sondern die Gebäudestruktur noch weiter nutzt, sie aber modernisiert und auch energieeffizienter gestaltet hat.
Das konnte man bei diesem Kunden umsetzen, weil noch Grundstücksfläche zur Verfügung stand. Man muss immer schauen, welche Möglichkeiten bestehen. Manchmal ist es eben auch nicht anders machbar, als auf der grünen Wiese etwas Neues zu machen. Doch so ein Greenfield-Bau kann seine eigenen Herausforderungen mit sich bringen. Wenn die Produktion nicht mit umzieht, benötigt man neue Zwischentransporte und hat damit laufende Kosten, verbraucht Energie und agiert weniger nachhaltig.
Welche Vorteile können automatisierte TK-Lager beim Platzbedarf bringen?
Speziell im Tiefkühlbereich gilt, je weniger Raum umbaut ist, umso weniger Energie verbrauche ich. Und jedes Grundstück ist endlich groß. Daher versucht man, möglichst kompakt zu bauen, auch damit noch Erweiterungsoptionen für die Zukunft vorhanden sind. Wir empfehlen eigentlich jedem Kunden, sich einen Masterplan zu machen, sich zu überlegen, wo er in Zukunft hinwachsen will. Man fängt also gemeinsam mit der großen Planung an und unterteilt diesen Plan in Baustufen. So denkt man rechtzeitig darüber nach, wie man Verbindungen schaffen kann, wo Ware zwischen Produktion, Logistik, Kommissionierung und Versand ausgetauscht wird. Diese Herangehensweise vermeidet, sich Gestaltungsmöglichkeiten zu verbauen.
Es gibt Verschieberegalanlagen im Tiefkühlbereich, die 60.000 oder 80.000 Palettenstellplätze bieten. Aber bei den Materialflussbewegungen, also wie viele Paletten ein- und ausgelagert oder kommissioniert werden pro Stunde, kommt eine Verschieberegalanlage irgendwann an Grenzen. Um ähnlich viele Palettenstellplätze pro Quadratmeter zu generieren, geht man in die Höhe. Das reduziert auch die Kosten insgesamt, weil die Bodenplatte relativ teuer ist. Die vernünftige Grenze für die Logistik liegt irgendwo bei 40, 45 Meter Gebäudehöhe – wenn auf dem Grundstück solche Gebäudehöhen genehmigungsfähig sind.
Je nach Artikelspektrum des Kunden kann man auch doppeltief oder mehrfachtief lagern. Der Handel, der pro Artikel eher geringe Bestände hat, geht eher auf eine einfachtiefe Lagertechnik. Die Hersteller, je nachdem aus welcher Branche, lagern bis zu zwölffach tief in Kanälen und können so pro Quadratmeter Lagerfläche sehr viel Lagervolumen unterbringen – extrem kompakt.
In der Kommissionierung braucht man, wenn man klassisch manuell kommissioniert, für jeden Artikel einen Bodenstellplatz. Das ist die flächenfressendste Kommissioniermethode. Mit Automatisierung lassen sich sehr viel kompaktere Puffer schaffen, die sehr schnell die Ware zum Mitarbeitenden oder zum Roboter bringen, um eine Kundenpalette zu erstellen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Keine Energie verschwenden
Oft hilft eine Automatisierungslösung, mehr als ein Problem zu lösen. Zum Beispiel benötigt ein Hochregallager aufgrund der dichten Bauweise nicht nur weniger Platz, sondern auch weniger Energie.
Die Energiekosten machen einen der größten Anteile am Budget für Kühlunternehmen aus. Bei der manuellen Lagerung müssen die Regale in der Breite angepasst werden, damit sowohl Menschen als auch Gabelstapler die Kommissionierung durchführen können. Das bedeutet mehr Platz zum Kühlen und Beleuchten, wodurch die Kosten steigen. Die Energiekosten können optimiert werden, und die Automatisierung ist ein hervorragendes Instrument, um Unternehmen bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
Für die Teilautomatisierung können beispielsweise Kanallager eine großartige Lösung sein. Diese bieten eine kompakte Lagerlösung innerhalb eines definierten Bereichs. Mehrere Lagerplätze werden nacheinander in sogenannten Kanälen angeordnet. Ein Kanallager ist besonders verdichtet und nutzt den Raum viel effizienter als herkömmliche Regale.
Vollautomatische Shuttle-Systeme und Paletten-RBG werden mit Blick auf Energieeinsparungen gebaut. Einige der Lösungen können sogar im Dunkeln oder mit weniger Beleuchtung arbeiten, um weitere nachhaltige Vorteile zu erzielen. Dies ist etwas, das mit manuellen Arbeitsprozessen nicht erreicht werden kann.