Der Hafen Antwerpen erarbeitet aktuell gemeinsam mit maritimen Akteuren Richtlinien zur standardisierten Umsetzung der GDP-Vorschriften im Seeverkehr für Pharma- und Life Science-Produkte. Eine entsprechende Zertifizierung der operativen Abläufe soll künftig Verladern die Möglichkeit eröffnen, Seetransporte öfter in die Supply Chain von Pharma- und Life Science-Produkten zu integrieren.
Temperaturgeführte Pharma-Logistik ist höchst anspruchsvoll: Komplexe Lieferketten und die Beteiligung verschiedenster Akteure erfordern standardisierte Abläufe und Vorgaben. Nur so kann die Qualität und Unversehrtheit der sensiblen Produkte auch bei Auslieferung sicher gewährleistet werden. In den vergangenen Jahren haben daher immer mehr Logistiker große Anstrengungen unternommen und Richtlinien zur Umsetzung und Einhaltung der GDP-Standards (Good Distribution Practice) von Europäischer Union beziehungsweise WHO (World Health Organisation) entwickelt. Vorne mit dabei waren hier insbesondere Fluggesellschaften, Straßentransportunternehmen sowie Dienstleister im Bereich Lagerhaltung. Die Schifffahrt und der maritime Sektor spielen in der Pharma-Supply-Chain hingegen eine eher untergeordnete Rolle. Bisher existieren für diesen Verkehrsträger keinerlei Richtlinien für die spezifische Anwendung der »Guidelines of 5 November 2013 on Good Distribution Practices of medicinal products for human use«. Bisher. Denn der belgische Hafen Antwerpen hat es sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern und den nachhaltigeren Seeweg für Pharma-Verkehre weiter zu erschließen. Analog zum CEIV-Siegel (Center of Excellence for Independent Validators in Pharmaceutical Logistics) der Iata im Luftfrachtbereich soll der maritime Standard, der aktuell in Antwerpen entwickelt wird, die Kompetenz, Zuverlässigkeit und Qualität von Terminalbetreibern und Reedereien für den Umschlag und die Lagerhaltung von Pharma- und Life Science-Produkten bescheinigen. Antwerpen wäre damit der erste Hafen weltweit, der seinen operativen Betrieb zertifiziert.
Verladerorientierter Hafenbetrieb
Im Hafen Antwerpen, Europas zweitgrößten Seehafen, hat der Umschlag von Perishables eine lange Tradition. Die gute see- und landseitige Anbindung des Standorts, großzügige temperaturgeführte Lagermöglichkeiten und rund 10 000 Reefer-Anschlüsse im Hafengebiet sowie spezialisierte Dienstleister machen Antwerpen dabei auch zu einem guten Drehkreuz für Pharma- und Life Science-Produkte. Containerschiffe bringen die Ladung zu über 1300 Häfen weltweit. Die Container-Terminals sind rund um die Uhr geöffnet, um die Fracht zu empfangen und umzuschlagen und die letzte Meile kann trimodal per Bahn, LKW oder Binnenschiff bedient werden. Aufgrund seiner Binnenlage sieht Antwerpen für sich hier zusätzlich den Vorteil, näher an den Pharmaproduzenten und Verbrauchern in Europa zu liegen. Damit können im Hafen Antwerpen Verkehrsströme aller Verkehrsträger unter Einhaltung der hohen Qualitätsstandards konsolidiert werden. Innerhalb des Hafengebietes garantieren hohe Produktivität und Kompetenz einen schnellen Umschlag der Ladung bei gleichzeitiger Erhaltung der Qualität. Nicht zuletzt befinden sich Hubs wie der Flughafen Brüssel oder der Hafen Liege in unmittelbarer Nähe.
Das Geheimnis des anhaltenden Erfolgs liege auch in einer konsequenten Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Verlader, meint Morgane Hanssens, Key Account Managerin Shippers & Forwarders im Hafen Antwerpen. »Wir befinden uns in einem stetigen Informationsaustausch mit der verladenden Wirtschaft, Partnern im Hinterland sowie den entsprechenden Dienstleistern der Hafengemeinschaft, um den Bedarf der Verlader möglichst frühzeitig zu erkennen und dann gemeinsam die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, um der Nachfrage der Industrie auch entsprechen zu können.« Dieser Ansatz zeigte auch, dass Reedereien und Containerterminals der Pharmaindustrie proaktiv mehr Transparenz und standardisierte operative Prozesse bieten müssen.
Auch der Arzneimittelhersteller Astra Zeneca weiß die Vorteile Antwerpens zu schätzen. »Die Infrastruktur im und um den Hafen, einschließlich der Lagerhaltung, ermöglicht die Konsolidierung unserer Luft-, Straßen- und Seefahrtsströme, während gleichzeitig die hohen Qualitätsstandards unserer hochsensiblen Pharmaproduktmärkte beibehalten werden«, erklärt Julian Wann, Category Leader, Global Freight & Logistics, AstraZeneca.
Task Force GDP-Zertifizierung
Ein spezieller Leitfaden soll in Antwerpen künftig den operativen Rahmen für alle an temperaturgeführten Deepsea- und Shortsea-Verkehren für temperaturkritische Produkte beteiligten Akteure festlegen. Dazu zählen Fertigarzneimittel ebenso wie Rohmaterial, pharmazeutische Wirkstoffe, Hilfsstoffe, medizinische Geräte, biologische Produkte, Plasma, Material für klinische Versuche und sonstige Produkte aus dem Life Science- und Healthcare-Bereich, die als temperaturempfindlich eingestuft wurden.
»Als Community Builder haben wir die Stakeholder im Hafen an einem Tisch geholt und eine Best-Practice-Guideline für maritime Supply Chains entwickelt, die auf den GDP-Vorschriften der EU basiert«, erklärt Hanssens die Vorgehensweise auf dem Weg zum maritimen GDP-Zertifikat.
In Workshops haben sich Vertreter mehrerer Reedereien und Terminals, der Hafenbehörde sowie verschiedener Dienstleister für temperaturgeführte Transporte, Lagerung und Mehrwertdienste getroffen. Gerade den Reedereien kam hier eine besondere Funktion zu. Durch ihre Stellung in der Pharmalogistikkette auf See verfügen sie über die entscheidenden Daten hinsichtlich Qualität und Compliance und konnten so einen wichtigen Beitrag zur Antwerpener Richtlinie leisten. Sie fokussiert insbesondere auf Transparenz und Pro-Aktivität und zielt auf eine unabhängige Zertifizierung der maritimen Aktivitäten von Reederei, Terminal und Spediteur.

Der Hafen Antwerpen hat zusammen mit Beteiligten der gesamten Kette einen maritimen Standard für den Umschlag und die Lagerhaltung von Pharma- und Life Science-Produkten entwickelt.
Auditierte Gewissheit für alle Seiten
Mit anderen Worten: Die Antwerpener Task Force hat einen maritimen Leitfaden für Containerterminals und Reedereien erstellt und schafft damit einen internationalen Standard für den reibungslosen Transport auf See. Verlader im Bereich Life Science und Healthcare haben damit künftig noch mehr Gewissheit, dass ihre Produkte fehlerfrei transportiert werden. Die Akteure entlang der maritimen Supply Chain können sich sicher sein, international gültige Regeln und Normen einzuhalten. Eine Checkliste unterstützt sie nicht nur bei der konsequenten Umsetzung ihrer Prozesse gemäß der Standards der Pharma- und Healthcare-Industrie. Sie wird ihnen auch dabei helfen, sich auf ein unabhängiges Audit vorzubereiten, das ihre Prozesse als »GDP-konform« zertifiziert.
Hanssens betont: »Wir wollen nicht mit der Luftfracht konkurrieren – im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass sich unsere Verkehrsträger sinnvoll ergänzen. Gerade die Nähe der Pharma-Drehkreuze Brussels Airport – Vorreiter des CEIV-Programms – und Hafen Antwerpen ist ein echter Pluspunkt in der Lieferkette von Pharmaunternehmen. Damit können wir Belgien als Tor nach Europa für die Life Science-Industrie profilieren.«
Die Guidelines sollen im ersten Quartal 2020 vorliegen. Die Etablierung und Umsetzung der Richtlinien bei den unterschiedlichen Akteuren der Lieferkette soll ebenfalls in diesem Jahr noch erfolgen. »Wir erhoffen uns, Antwerpen als Drehkreuz für temperaturgeführte Pharma-Transporte positionieren zu können. Schlussendlich werden alle temperaturgeführten Güter von diesen Qualitätsstandards profitieren.«◂