Wie so viele 17-Jährige beschäftigte sich auch das 17. Kälteforum viel mit der Energiewende. Wie kann die stromintensive Tiefkühlbranche sie für sich so gestalten, dass auch die ökonomische Vernunft gewahrt wird? Das TK-Familientreffen bot hierzu viele Anregungen.
Energie war ein großes Thema beim 17. Kälteforum, das der Verband Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen e.V. (VDKL) und das Deutsche Tiefkühlinstitut (dti) Anfang November wie stets gemeinsam ausgerichtet haben, dieses Jahr in Wilhelmshaven. Gleich der erste Fachvortrag hatte eine, wie dti-Geschäftsführerin Dr. Sabine Eichner fand, schöne These im Titel: Über die »Führungsrolle für die TK-Wirtschaft in der Energiewende« sprachen zwei der drei Gründer des Unternehmens Encentive, Torge Lahrsen und Daniel Ehnes. Die Grundidee dahinter ist alt, es ist für Betreiber von Kälteanlagen finanziell von Vorteil, Energie zum richtigen Zeitpunkt zu verbrauchen. »Unser Energiesystem wird nicht nur grüner, sondern immer dynamischer und volatiler«, schilderte Lahrsen die neue Herausforderung. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende sei: »Wir müssen dann Energie verbrauchen, wenn sie verfügbar ist!« Diese Volatilität werde nicht ohne Folgen für Tiefkühl-Unternehmen bleiben, es werde regulative Veränderungen geben müssen, damit wir die Energiewende schaffen, sagte er voraus. Während der Rechtsrahmen für alle Marktteilnehmer gleich und nicht zu beeinflussen ist, können sie beim Volatilitätsmanagement aktiv werden. Für die Tiefkühlwirtschaft war Lahrsens Empfehlung klar, sie solle jetzt schon damit starten, da sie viele Systeme hat, die sich orchestrieren lassen. »Nutzen Sie die Vorteile Ihrer TK-Infrastruktur«, appellierte er.
Als Benchmarkt für bereits heute mögliche Kosteneinsparungen nannte Ehnes einen um ungefähr 5 Prozent reduzierten Verbrauch der Kältemaschine durch eine zeitliche Effizienzoptimierung, um 27 Prozent reduzierte Netzentgelte durch die Lastspitzenoptimierung, die nach seinen Worten in der Branche heute schon fast nichts Besonderes mehr ist, um 11 Prozent ließen sich Stromkosten der Kältemaschinen durch Aktivität am Day-Ahead-Markt reduzieren und schließlich der Eigenverbrauch bei Unternehmen mit eigener Photovoltaik-Anlage um 20 Prozent erhöhen.
Lahrsen verwies auf das neue Naturgesetz der Energiepreise: Je grüner, desto günstiger der Strom. Um diesen Umstand zu nutzen, helfe aber keine Zeitschaltuhr mehr, die Volatilität der Strompreise sei nicht jeden Tag gleich, die Tagesmuster der Schwankungen unterscheiden sich. Um sie zu nutzen, brauche es Automatisierung – und Daten. »Energiemonitoring reicht nicht, es muss angereichert werden um weitere Daten«, betonte er. Beispiele seien Wetterdaten und andere externe Einflüsse, aber auch die eigene Stromproduktion durch Photovoltaik und vielleicht sogar Wind. Diese Daten seien oft schon irgendwo vorhanden und es sei wesentlich einfacher als viele denken, diese Daten auf einer Plattform zusammenzuführen, versuchte er den Respekt vor der komplizierten neuen Zeit zu nehmen. »Denn genau da müssen sie alle hin«, betonte Lahrsen. Um diese großen Datenmengen zu analysieren, Vorhersagen zu erstellen und daraus optimierte Fahrpläne für die eigenen Anlagen abzuleiten, sei künstliche Intelligenz das geeignete Werkzeug, erklärte er. Denn die könne selbst die Zusammenhänge erkennen und lerne auch andauernd aus historischen Daten weiter. »KI kann schon sehr effizient eingesetzt werden, man muss nicht umfangreiche ‚digital twins‘ aufbauen, sondern man kann sehr hands on herangehen und das System selber lernen lassen und trotzdem große Mehrwerte schaffen«, betonte er.
Die Encentive-Gründer hatten als Beispiel auch Zahlen aus der Praxis eines Tiefkühllogistikers mit eigener PV-Anlage dabei. An einem Tag schwankte der Stromverbrauch in wilden Zacken zwischen 100 und 350 kW je nach Tageszeit, die Produktion begann ab 8 Uhr morgens und wuchs bis zum Mittag auf rund 150 kW, bevor sie mit kleineren Ausschlägen bis 17 Uhr wieder zurückging. »Diese Verläufe werden planbar«, zeigte Ehnes anhand der Prognosen ihres Systems, optimierte Anlagen-Fahrpläne ließen sich so nicht nur für den Tiefkühlbereich, sondern, solange etwas Ware als Temperaturpuffer vorhanden ist, auch im plusgradigen Frischebereich erstellen.
Den eigenen Standort müssten Unternehmen als »lokales Portfolio« verstehen, war eine Kernforderung von Ehnes und Lahrsen. Gemeint war, dass es längst nicht mehr »nur« um die Optimierung der Kälteanlage geht, sondern eben auch um Photovoltaik, um Ladeinfrastruktur für Flurförderzeuge oder Elektrofahrzeuge, um Wärmepumpen, Speichersysteme, Blockheizkraftwerke oder Dampferzeugung. Für die gewünschte Integration dieses lokalen Portfolios in das dynamische Energiesystem der Neuzeit ist natürlich die Zusammenarbeit mit Energieversorgern notwendig. Man sei mit renommierten Versorgern in Verhandlung, um das Energiesystem wirklich ganzheitlich zu denken, berichtete Lahrsen. Nach Erfahrungen gefragt sagte Ehnes, dass gar nicht so sehr die Größe des Stromversorgers für die Qualität der Zusammenarbeit relevant sei, sondern das Anbieten von bidirektionalen Energiesystemen, also dem Ende der stromtechnischen Einbahnstraßen.
Überraschende Einsparungen
Holm Riedel, Geschäftsführer der Energeering GmbH, berichtete sogar zum zweiten Mal hintereinander auf dem Kälteforum über das Energiemanagementsystem seines Unternehmens – ein Novum, wie VDKL-Geschäftsführer Jan Peilnsteiner erklärte. Das hatte auch seinen Grund, stellte Riedel doch die praktischen Ergebnisse zu einer beim letztjährigen Kälteforum in Osnabrück präsentierten Lösung vor. Zwei fast komplett identische Kühlhäuser hatte er damals angeführt und gezeigt, dass ihre Kältestrommenge sich massiv unterschied: 2022 lag der Verbrauch von Kühlhaus A bei 4 267 348 kWh und von Kühlhaus B bei 7 112 371 kWh. Zu Spotmarktpreisen ergab sich damit ein Kostenvorteil von A gegenüber B von fast 700 000 Euro oder 40 Prozent. Kälteanlage, Volumen, Stellplatzanzahl, Solltemperatur und Auslastung beider Häuser waren zum Verwechseln ähnlich, allerdings gab es bei Kühlhaus B viel Personalwechsel und damit unterschiedlich viel Erfahrung mit der Kälteanlage, berichtete Riedel.
Seit Mai diesen Jahres steuert Energeering, das auch für den VDKL Strompool, Unilever, Bofrost oder die Nagel Group tätig ist, Kühlhaus B. Wenn auch noch nicht mit KI, wie Riedel berichtete. Primäres Projektziel ist es, Energiekosten zu senken, womit sich die Stellschrauben Energie-Menge und -Preis ergeben. Sein Praxisbericht konzentrierte sich stark auf den Verdichtereinsatz als Teilaspekt, der neben der Raumtemperatur, den Anlagendrücken oder der Abtauung die Strommenge beeinflusst. Denn bei eben diesem Verdichtereinsatz habe die Analyse von 400 Datenpunkten direkt aus der Kälteanlagensteuerung mit mindestens minütlich einem Datensatz ergeben, dass »ziemlich oft ein ziemlich schlechter Deal gemacht« wurde, sprich das Verhältnis aus der Stromaufnahme des Schraubenverdichters und dem Verdichtervolumen oft eine ungünstige Schieberstellung gezeigt habe. Im Mai zum Beispiel seien immer beide Verdichter gelaufen, oft aber mit Volumen unter 70 Prozent. Im September nach der Optimierung wurde je nach Bedarf ein oder zwei Verdichter eingesetzt, immer mit über 90 Prozent des Volumens.
Ohne künstliche Intelligenz, sondern auf Basis eigener Annahmen und Vorhersagen wurde in Kühlhaus B der Fahrplan optimiert, mit einem 30 Jahre alten Lastabwurfsystem mit Windows-XP-Oberfläche, wie Riedel berichtete. Man habe extrem viel Zeit investiert und anfangs viel herumprobiert und so für September 2023 eine Spotpreisoptimierung der Verbräuche erzielt, die er als »ganz okay« bewertete. Um hier gute Ergebnisse zu erreichen, müsse der Anlagen-Fahrplan eben automatisch täglich angepasst werden, und nicht wie hier alle paar Wochen am XP-Rechner. Während beim Energiepreis so auf Basis der Ergebnisse von September und Oktober hochgerechnet auf ein Jahr »nur« 30 987 Euro eingespart werden konnten, ergeben sich durch die »geradezu spektakuläre« Einsparung bei der Energiemenge von 26,5 Prozent (819 statt 1114 MWh) aufs Jahr hochgerechnet 193 252 Euro, »meilenweit über den Erwartungen«, wie Riedel zugestand. Mittlerweile erstellt die KI den Fahrplan für die Anlagen, die Preisprognose kaufen sie ein. Zwei Wochen nach dem Kälteforum wurde laut Plan bei Kühlhaus B dieser Fahrplan live geschaltet und schreibt seine Vorgaben in das SPS-System.
Für die Zukunft sagte Riedel eine wachsende Bedeutung solcher Optimierungen voraus: »In einer Welt mit 100 Prozent erneuerbaren Energien habe ich einen enormen Wettbewerbsnachteil, wenn ich das nicht mache«, zeigte er sich überzeugt. Kühlhaus A sei im Übrigen trotz der Verbesserungen wohl nicht zu schlagen – nicht zuletzt weil sich hier im letzten Jahr ebenfalls Verbesserungen ergeben hätten, da Energeering jetzt auch dieses Objekt steuere…
Der geförderte Weg zur klimaneutralen Kühllogistik
Um die Energiewende bei der Antriebsenergie von Nutzfahrzeugen ging es im Vortrag von Bruno Lukas auf dem Kälteforum. Der Geschäftsführer von Green Logistics Enabler erläuterte Wege zur klimaneutralen Kühllogistik, die das Unternehmen als Projektsteuerer und mit einem Netzwerk an Partnerunternehmen zu verfolgen hilft. Treiber für grüne Logistik gebe es viele, zum Beispiel die CO2-basierte Maut. »Handwerklich schlecht gemacht«, urteilte Lukas über die Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie in Deutschland, ein positiver Aspekt sei aber die Befreiung gewisser emissionsfreier Nutzfahrzeuge von der Maut, namentlich solche mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb (Verbrenner oder Brennstoffzelle), wenn auch nur bis Ende 2025. Danach greife eine Reduktion des Mautteilsatzes für Infrastrukturkosten auf 25 Prozent, zuzüglich der Teilsätze für Lärmbelastung und Luftverschmutzung. Wie beim PKW seien von der EU-Kommission mit Beschluss aus dem Februar 2023 auch für LKW verbindliche Flottengrenzwerte für das Portfolio der Hersteller vorgeschrieben, 90 Prozent emissionsfreie Neufahrzeuge würden nach diesen Plänen bis 2040 angestrebt. Lukas erinnerte mit einem Kundenbeispiel an die Bedeutung von Kommunen als Motor hinter der Antriebswende: Berlin habe kommunalen Betrieben aufgelegt, bis 2030 einen klimaneutralen Fuhrpark zu betreiben, der zweigrößte Klinikbetreiber der Hauptstadt Vivantes habe vor diesem Hintergrund ein Projekt für die Umstellung auf Elektro-Vans und Elektro-LKW bis 16 Tonnen beauftragt. Erste Tests mit LKW habe Vivantes unter Führung von GLE im Mai erfolgreich absolviert, das vom Unternehmen erstellte Konzept sieht in einem ersten Schritt ab 2025 den Einsatz von 15 entsprechenden LKW und 5 Transportern zur Versorgung ausgewählter Krankenhäuser von einem zentralen Logistikhub vor. In Vorbereitung seien Planung und Bau einer geeigneten Ladeinfrastruktur mit Stromspeichern und Ausbau der Photovoltaik-Anlagen zur Eigenstromerzeugung.
Lukas gab auch eine Übersicht über die Antriebs-Alternativen für LKW. Elektro-LKW seien für Städte und den kleinen regionalen Verteilerverkehr das alternative Mittel der Wahl, bei 200 bis 300 Tageskilometern mache auch er in seinen Projekten hiermit gute Erfahrungen. Konkret nannte er Volvos 16-Tonner FL Electric mit bis zu 130 kW Leistung und seit Sommer mit Batteriesystemen, die sogar bis 450 Kilometer rein elektrisch schaffen. Wasserstoff-LKW haben sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt, »das hat mit dem Wasserstoff-Preis zu tun: der ist definitiv in Deutschland noch nicht wettbewerbsfähig!« Anders sei das zum Beispiel in der Schweiz, in der mit gesetzlichen Regularien solche LKW gepusht würden. »Die Technik selber ist vorhanden und funktioniert sehr gut, Wasserstoff-LKW können eine Technologie sein für mittlere Distanzen von 200 bis 400 Kilometer, also größeren regionalen Verteilerverkehr«, erklärte Lukas. Als Beispiel nannte er hier den Hyundai Xcient Solo, von dem in einem von einem Konsortium aufgesetzten eigenen Wasserstoff-Ökosystem in der Schweiz 50 Stück seit zwei Jahren erfolgreich in Summe fünf Millionen Kilometer absolviert hätten, für Coop auch als Kühlfahrzeug, wie Lukas berichtete. Hydrierte Pflanzenöle (HVO) würden derzeit stark diskutiert, seien aber bis auf einige Ausnahmen bisher in Deutschland noch nicht zugelassen. Im Vergleich zum Diesel sei damit bis zu 90 Prozent CO2-Reduktion möglich.
Lukas stellte auch die Kosten der nachhaltigen Alternativen gegenüber und zog ein klares Resümee: »Ohne Förderung funktioniert dieser Markt noch nicht.« Erst wenn Skalierungseffekte den Preisunterschied zu Diesel-LKW einebnen, könne sich das ändern. Anschaffungskosten für die Diesel-Variante im Verteilerverkehr von rund 120 000 Euro stünden für die Elektrovariante 350 000 Euro gegenüber. Über die KsNI-Förderung, für die der dritte Förderabruf unmittelbar bevorstehe, seien 80 Prozent dieses Mehrpreises auszugleichen, es bleibe bei den Anschaffungskosten also eine Differenz von 46 000 Euro. Bei den Betriebskosten kam Lukas für 80 000 Kilometer Laufleistung im Jahr und einem Kontraktpreis von 1,70 Euro pro Liter Diesel auf 157 760 Euro Spritkosten über eine Gesamtnutzungsdauer von vier Jahren, beim Elektro-LKW bei einem Gestehungspreis von 0,25 Euro pro kWh bei größtenteils Photovoltaik-Eigenproduktion auf 96 000 Euro für vier Jahre. Damit steht bei den Betriebskosten in dieser Rechnung eine Differenz von 61 760 Euro zugunsten des Elektroantriebs zu Buche.
Perspektivisch sollen die Treibhausgas (THG)-Quoten für emissionsfreie LKW deutlich erhöht werden, von einer 10- respektive 15-fach höheren Prämie für E-LKW der Klasse N2 beziehungsweise N3 ist die Rede.
Auf die Frage ins Auditorium, wer denn bereits einen Elektro-LKW einsetze, war die Resonanz noch überschaubar: Von den rund 200 Teilnehmern meldete sich nur der Vertreter der Nagel Group, die einen Elektro-Volvo im Verteilerverkehr einsetzt. Nordfrost plant laut Geschäftsführer Dr. Falk Bartels einen solchen Einsatz – und wartet auf die Lieferung des Fahrzeugs. (ms)