Statt tuckernder Diesel hört man in manchen Metropolregionen demnächst surrende Elektromotoren – und zwar nicht nur in den Wohnstraßen der Vorstädte mit innovationsbegeisterter Ökoklientel, sondern vor den Supermärkten. Gleich drei Projekte zur E-Belieferung des LEH sind jetzt gestartet.
Im Herbst wurden verschiedene Projekte vorgestellt, in denen elektrisch angetriebene LKW vom Lebensmitteleinzelhandel eingesetzt werden. So kündigte Aldi Süd Mitte September an, dass die rund 50 Ruhrgebiets-Filialen des Discounters ihre Waren ab Herbst auch von einem Elektro-LKW erhalten sollen. Das Unternehmen präsentierte an seinem Mülheimer Logistikzentrum dazu den ersten rein elektrisch betriebenen 40-Tonner mit Kühlauflieger. »Der große Vorteil des E-LKW ist, dass er komplett abgas- und CO2-frei ist und zudem geräuscharm fährt«, erklärte Andreas Kremer, Leiter Logistikmanagement bei Aldi Süd. Der Elektro-LKW wird über eine eigens am Mülheimer Logistikzentrum errichtete Schnellladesäule mit einer Leistung von 150 Kilowatt und mit 100 Prozent Grünstrom aus Wasserkraft oder eigenen Fotovoltaikanlagen aufgeladen. Auch das Kühlaggregat wird elektrisch betrieben. Mit der integrierten Kälteanlage lassen sich im Laderaum mehrere Temperaturzonen erzeugen. Anders als bei Diesel-Aggregaten werden damit keine weiteren Emissionen verursacht, betont der Discounter.
»Alternative Antriebstechnologien leisten einen wichtigen Beitrag zur Luftreinhaltung sowie zum Klima- und Lärmschutz. Wir freuen uns, dass Aldi Süd diese innovative Technologie jetzt auch im Einzelhandel einsetzen will. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Testphase«, kommentierte NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst die Präsentation des Elektro-LKW.
Prototyp: Erster 40-Tonner mit Kälteaggregat
Aldi Süd bringt dabei nach eigenen Angaben einen Prototypen auf die Straße: Der E-LKW sei der erste 40-Tonnen-Sattelzug mit Kälteaggregat im deutschen Lebensmittelmitteleinzelhandel. »Wir möchten mit unserem Elektro-LKW die Praxistauglichkeit von alternativen Antrieben in der Warendistribution überprüfen«, kündigte Kremer an. Gemeinsam mit dem Partner Framo hat Aldi Süd einen herkömmlichen LKW zu einem Elektro-LKW umgerüstet. Dieser wird zunächst testweise für einen Zeitraum von fünf Jahren in Mülheim an der Ruhr und Umgebung eingesetzt.
Damit führt die Unternehmensgruppe ihr Klimaschutzengagement auch in der Logistik weiter fort. »Unser Ziel ist es, den Kraftstoffverbrauch unserer Fahrzeugflotte dauerhaft zu senken. Wir setzen schon seit Jahren auf modernste Technik und eine optimale Streckenplanung in der Filiallogistik. Die Tests mit alternativen Antrieben ergänzen unseren Einsatz für eine nachhaltige Logistik«, ordnete Kremer ein. Bereits seit Sommer 2018 testet Aldi Süd in vier weiteren Regionalgesellschaften jeweils einen Erdgas-LKW.
Der Klimaschutz ist in den Corporate-Responsibility-Grundätzen der Unternehmensgruppe Aldi Süd fest verankert. Der Discounter arbeitet nach eigener Darstellung seit vielen Jahren daran, seinen Geschäftsbetrieb nachhaltig und klimaschonend zu gestalten und handelt seit 2017 klimaneutral. Aldi Süd produziert mittlerweile auf 1300 seiner 1890 Filialen klimaschonenden Strom mit eigenen Fotovoltaikanlagen. Bis Ende 2018 sollen 60 weitere Filialen mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet sein. Für den Strombedarf, den Aldi Süd nicht selbst decken kann, setzt die Unternehmensgruppe ausschließlich auf zertifizierten Grünstrom und gleicht die Emissionen, die sich im täglichen Handeln nicht vermeiden lassen, durch zertifizierte Kompensationsprojekte aus
eActros in Berlin und Hamburg
Gleich zwei Projekte startet Mercedes-Benz zusammen mit Partnern. Sowohl Hamburger als auch Berliner Supermärkte sollen ab jetzt elektrisch beliefert werden. In Hamburg übergab Mercedes-Benz Trucks einen eActros an Meyer-Logistik, in Berlin an Edeka.
Das im hessischen Friedrichsdorf ansässige Unternehmen Meyer-Logistik testet nun ein Jahr lang einen 25-Tonner mit Kühlaufbau beim Transport von temperaturgeführten Lebensmitteln vom Lager zu verschiedenen Supermarktfilialen in der Hamburger Innenstadt. Das Gewicht der transportierten Ware beträgt bis zu zehn Tonnen. Die gesamte Tagesstrecke ist rund 100 Kilometer lang und wird zunächst im Einschichtbetrieb von einem Fahrer gefahren. Zwischen den Fahrten ist kein Ladevorgang erforderlich, denn die Reichweite des eActros beträgt bis zu 200 Kilometer. Die Übergabe des Fahrzeugs an Meyer-Logistik fand Mitte Oktober an einem Lagerstandort einer großen deutschen Supermarktkette in Stelle bei Hamburg statt. Meyer-Logistik zählt zu insgesamt 20 Kunden aus unterschiedlichen Branchen, die den schweren Elektro-LKW in ihre Flotte integrieren. Die Kunden setzen jeweils einen seriennahen 18- oder 25-Tonner im normalen Betrieb ein und testen ihn auf seine Alltagstauglichkeit. Das Ziel ist, ab dem Jahr 2021 lokal emissionsfreies und leises Fahren in Städten auch mit schweren Serien-LKW zu realisieren – und das betriebswirtschaftlich auf Augenhöhe mit Diesel-LKW. Die Testserie gliedert sich nach Angaben von Mercedes in zwei Phasen mit jeweils zehn Kunden und dauert insgesamt rund zwei Jahre.
Der erste eActros der sogenannten »Innovationsflotte« ist bereits seit September bei einem Kunden im Praxisbetrieb, die zweite Übergabe erfolgte Anfang Oktober. Die weiteren Fahrzeugübergaben der ersten Phase sind bis Ende des Jahres abgeschlossen. Alle Testkunden transportieren Waren im Stadtverkehr und setzen den eActros für Aufgaben ein, die sonst mit konventionellen Dieselantrieben erledigt würden – aber in völlig unterschiedlichen Branchen und Kategorien. Die Palette reicht von Lebensmitteln bis zu Bau- und Werkstoffen. Bei den Aufbauten reichen die Varianten vom Kühlkoffer über Trockenkoffer bis hin zu Silo oder Plane. »Die Praxistests mit dem eActros sind für uns ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Serienprodukt. Jeder Kunde leistet einen wertvollen Beitrag für die Weiterentwicklung zur Serienreife, indem er den eActros in einem ganz speziellen Einsatzgebiet im regulären Betriebsalltag erprobt. Unsere Experten stehen den Kunden dabei rund um die Uhr zur Verfügung. Im Vorfeld haben wir die Kunden bereits intensiv beraten. Dabei haben wir gemeinsam mit ihnen ihre individuellen Anforderungen definiert, die entsprechende Variante des eActros bestimmt und Fragen rund um die nötige Infrastruktur geklärt. Vor Beginn der Tests haben unsere Experten die Fahrer und Disponenten der Kunden zudem umfangreich geschult«, erklärte Oliver Kraft, Leiter Großkundenmanagement Mercedes-Benz LKW Deutschland. »Wir freuen uns, dass Meyer-Logistik als langjähriger Kunde nun als weiterer Testteilnehmer den eActros erprobt und sind gespannt auf viele interessante Erkenntnisse«, so Kraft weiter.
Alternative Antriebskonzepte wichtiger Baustein bei Meyer Logistik
»Als Unternehmen, das tagtäglich Supermärkte in Ballungszentren mit Lebensmitteln versorgt, wollen wir die Auswirkungen unserer Arbeit auf Mensch und Umwelt so gering wie möglich halten«, erklärte Matthias Strehl, Geschäftsführer bei Meyer-Logistik, anlässlich der Übergabe. »Die Nutzung alternativer Antriebskonzepte ist daher seit langem ein wichtiger Baustein unserer Unternehmensstrategie. Insofern freuen wir uns darauf, den eActros in Hamburg erproben zu können. Aus unserer Sicht sind E-LKW perfekt für die Anlieferung auf der letzten Meile – zum Beispiel an Supermärkte – geeignet. Denn sie fahren vor Ort emissionsfrei und sind besonders leise, somit werden Anwohner gleich mehrfach entlastet.«
Bei dem Kühl-Wechselkoffer des von Meyer-Logistik eingesetzten eActros handelt es sich um das Modell W.KO Cool von Schmitz Cargobull. Er verfügt über eine optimierte Isolierung für den energieeffizienten Transport von gekühlter Ware. Der robuste Aufbau ist laut Mercedes ideal für den intensiven täglichen Einsatz geeignet. Das rein elektrisch betriebene Kühlgerät arbeitet vollkommen emissionsfrei und ist speziell für den Einsatz im Verteilerverkehr ausgelegt. »Das Thema Elektromobilität für Nutzfahrzeuge hat große Bedeutung und eröffnet zudem Chancen. Diese nutzen wir mit unserem Kühlgerät«, so Jörg Irsfeld, Leiter IKAM Schmitz Cargobull.
Edeka testet in Berlin
Ende Oktober hat Mercedes-Benz Trucks im Rahmen der Erprobung einen vollelektrischen eActros an Edeka übergeben. Der Einzelhandels-Verbund testet ein Jahr lang einen 25-Tonner mit Kühlaufbau beim Transport von frischen, temperaturgeführten Lebensmitteln in Berlin. Die Tagesstrecke vom Lager am Rande Berlins in Grünheide zu verschiedenen Edeka-Supermarktfilialen in der Innenstadt und der nahen Umgebung ist zwischen 150 und 300 Kilometer lang. Sie wird im Zweischichtbetrieb gefahren. Das Gewicht der transportierten Ware beträgt bis zu zehn Tonnen. Während des Be- und Entladens wird das Fahrzeug aufgeladen, sodass die Gesamtreichweite des eActros von bis zu 200 Kilometer mit einer Batterieladung optimal genutzt wird. Edeka ist laut Mercedes das einzige Unternehmen aus der Einzelhandelsbranche in Deutschland, das den eActros im eigenen Fuhrpark einsetzt.
Die symbolische Übergabe des Fahrzeugs an Edeka fand am Gasometer in Berlin-Schöneberg statt. Neben Vertretern von Mercedes-Benz Trucks, Edeka und dem Aufbauhersteller Schmitz Cargobull nahm auch Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, an der Veranstaltung teil. »Wir freuen uns, dass auch Edeka als langjähriger Partner nun den eActros erprobt«, erklärte Andreas von Wallfeld, Leiter Marketing, Vertrieb und Services Mercedes-Benz LKW. »Edeka leistet mit seinem Praxiseinsatz des eActros einen wertvollen Beitrag für die Weiterentwicklung zur Serienreife. Für diese tatkräftige Unterstützung danken wir dem Verbund sehr herzlich. Unsere bisherigen Ergebnisse verschiedener Tests stimmen uns sehr positiv. Die 200 Kilometer Reichweite sind absolut realistisch. Kühlsystem und Klima-Anlage haben auch bei einem Jahrhundert-Sommer wie diesem gut funktioniert.«
Auch der Edeka-Verbund sieht den Ergebnissen des Praxistests mit Spannung entgegen: »Als Innovationstreiber im Handel spielt der Umgang mit Zukunftstechnologien für Edeka eine große Rolle«, betonte Rolf Lange, Leiter Unternehmenskommunikation der Hamburger Edeka-Zentrale. »Wir engagieren uns bereits in vielen Bereichen darin, Emissionen zu senken – gerade in der Logistik. Elektromobilität ist hier ein Baustein mit vielen Chancen, aber auch Herausforderungen. Wir freuen uns darauf, mit diesem Praxistest in Berlin wertvolle Erfahrungen zu sammeln.«
Auch der von Edeka eingesetzte eActros hat einen Kühlkoffer des Modells W.KO Cool von Schmitz Cargobull. »Die Elektromobilität für Nutzfahrzeuge hat große Bedeutung und eröffnet speziell dafür geeignete Chancen. Diese nutzen wir mit unserem Kühlgerät. Zum kritischen Faktor des gemeinsamen Energiemanagements LKW – Kühlgerät können wir durch den gemeinsamen Test mit Mercedes-Benz Trucks wertvolle Erfahrungen sammeln«, erklärte Boris Billich, Vorstand Vertrieb Schmitz Cargobull, anlässlich der Übergabe in Berlin.
eActros mit vollständig auf Elektroantrieb ausgerichteter Architektur
Der Rahmen des Mercedes-Benz Actros dient dem in den Tests verwendeten eActros als Basis. Darüber hinaus handelt es sich beim eActros aber nach Angaben des Herstellers um eine vollständig auf Elektroantrieb ausgerichtete Architektur mit hohem Anteil spezifischer Teile. So basiert beispielsweise die Antriebsachse auf dem Typ ZF AVE 130, der sich in Hybrid- und Brennstoffzellen-Omnibussen von Mercedes-Benz bewährt hat und nun für den eActros wesentlich überarbeitet wurde. Der Antrieb erfolgt über zwei Elektromotoren nahe den Radnaben der Hinterachse. Ihre Leistung beläuft sich auf jeweils 126 kW, das maximale Drehmoment auf jeweils 485 Newtonmeter. Nach der Übersetzung werden daraus jeweils 11 000 Newtonmeter. Die Fahrleistung sei damit der eines Diesel-LKW ebenbürtig. Die maximal zulässige Achslast liegt bei den üblichen 11,5 Tonnen. Die Energie kommt aus Lithium-Ionen-Batterien mit 240 kWh. Sie lassen sich in Abhängigkeit der verfügbaren Ladeleistung laut Mercedes innerhalb von zwei bis elf Stunden vollständig aufladen (bei 150 beziehungsweise 20 kW).
Mit Elektro-LKW sammelt Daimler bereits seit dem Jahr 2010 Erfahrung und hat seit vergangenem Jahr seinen ersten in Serie gefertigten vollelektrischen LKW auf dem Markt und in Kundenhand: den leichten LKW Fuso eCanter. Im Bus-Segment sollen erste Mercedes-Benz eCitaro ab Ende des Jahres ausgeliefert und bei einer sogenannten kundennahen Fahrerprobung in die Praxis gehen. Im Bereich Transporter ist der eVito von Mercedes-Benz Vans seit November 2017 bestellbar und soll in Kürze ausgeliefert werden. 2019 folgt laut Daimler der eSprinter.
Die Entwicklung und Erprobung der schweren Elektro-LKW im Verteilerverkehr wird im Rahmen des Projekts »Concept ELV²« zu verschiedenen Teilen vom Bundesumweltministerium sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.◂