In unserem Interview spricht Andreas Wimmer, Vice President Product Managment bei der SSI Schäfer IT Solutions GmbH, über Künstliche Intelligenz (KI) in der Intralogistik und wie sie konkret auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen kann Prozesse zu optimieren.
Künstliche Intelligenz ist ein großer Begriff, hinter dem sich viel verbirgt. Können Sie zum Start einen Überblick geben, welche Einsatzmöglichkeiten es für künstliche Intelligenz im Logistikbereich gibt und was man sich unter einem intelligenten Lager vorstellen kann?
Man kann in sehr, sehr vielen Teilbereichen einen KI-Ansatz wählen. Unabhängig von der Größe des Kunden oder der Anzahl der Standorte. Auch in einem komplett manuellen Lager können mit KI-Methoden Effizienzgewinne erzielt werden, zum Beispiel durch Optimierung der Kommissionierwege. Wenn wir weiter in Richtung Automatisierung gehen, wird es zum einen komplexer und zum anderen gibt es auch viel mehr Daten, die von den Anlagen gesammelt werden. Hierbei spielt das Thema Data Management und Datensicherheit eine bedeutende Rolle. Es werden Unmengen an Daten geliefert. Beispielsweise wissen wir durch SPS-Daten, welche Lichtschranken ausgelöst werden und durch Order Dates zum Beispiel den Order Forecast der letzten zwei Jahre. Wir kennen im Prinzip die Performance von Lagerbereichen und der eingesetzten Ressourcen. Es geht darum: Wie kann ich diese Ressourcen optimal nutzen?
Wie kann KI denn konkret helfen, ein Lager zu optimieren?
Ein Beispiel: Wenn eine Anlage installiert wird, dann wird in der Regel für jeden Artikel eine Strategie hinterlegt: Was mache ich mit dem Artikel, wenn er im Lager ankommt? Man legt zum Beispiel fest, dass die ersten 20 Paletten in den einen Lagerbereich gehen, die nächsten drei in die Nähe der Kommissionierung und die nächsten 50 werden in einen anderen Reservebereich gestellt. Ich fixiere also eine Einlagerstrategie. Das gleiche Schema definiere ich im Warenausgang in Richtung Kommissionierung. Ich parametriere jede Kommissionierstation oder die Kommissionierwege. Es kann nun aber auch passieren, dass sich meine Auftragsstruktur ändert, ein LKW im Stau steht, es eine andere Wetterlage gibt, irgendeine mechanische Einschränkung in der Anlage auftritt oder vielleicht eine Peak-Situation wie Black Friday stattfindet. Für diese Szenarien kann man in die Parametrierung aber manuell nicht spontan anpassen. Bei der Frischelogistik kommen noch Rahmenbedingungen dazu aus dem Bereich Temperaturführung, Temperaturtracking, auch Optimierung in Richtung Transport. Die große Stärke der KI-Methodik ist, dass sie auf genau diese Veränderungen reagiert und Strategien und Parameter anpassen kann.
Kurz: die gesamte Supply Chain flexibel auf Parameter, die sich sehr schnell ändern können, anzupassen – darin liegt aus meiner Sicht momentan ein sehr großer Hebel für KI.
Welche Aktivitäten unternimmt SSI Schäfer auf dem Gebiet KI?
Das Thema KI nimmt einen hohen Stellenwert in unserem Unternehmen ein, eine eigene Abteilung beschäftigt sich intensiv mit dieser Thematik. Als SSI Schäfer haben wir uns das Ziel gesetzt, für unsere Kunden eine ganz klare Lösung auf den Markt zu bringen, von welcher sie sofort profitieren und welche ihnen einen schnellen Nutzen bringt.
Im April 2018 wurde das neue Wamas LRM – Labor and Resource Management System – gelauncht. Bei dieser Lösung liegen die Schwerpunkte ganz konkret bei den Themen Kundennutzen und dem sinnvollen Einsatz von KI-Methoden. Es werden nicht nur einzelne Prozesse, sondern der gesamte innerbetriebliche Materialfluss berücksichtigt und die Arbeitsleistung somit entsprechend optimiert.
In mehreren Kundeninstallationen bestätigen sich bereits die Vorteile von Wamas LRM und der dadurch erzielten Transparenz, welche erfolgreich die Effizienz im Lager erhöht. Das LRM-System erfasst neben der gesamten Arbeitsleistung sämtlicher Intralogistikmitarbeitenden auch die Lagerperformance selbst und wertet alle gesammelten Daten individuell, gruppenweise oder nach Schichtleistungen aus. Infolge der vollständigen Auswertung optimiert Wamas LRM den Einsatz aller eingesetzten Ressourcen: für die effizienteste Durch- und Ausführung sämtlicher Tätigkeiten im täglichen Betrieb.
Dadurch kann auch in Ausnahmesituationen, wie beispielsweise dem Black Friday, optimal im Lager agiert werden. Peak und Saisonalität sind de facto nichts Neues, jedoch können diese durch den Einsatz von KI-Methoden effizienter gelöst werden.
Wie groß ist der Zugewinn, wenn man jetzt zusätzlich zu klassischen IT-Algorithmen künstliche Intelligenz nutzt?
Einen konkreten Wert kann man pauschal nicht nennen, der Zugewinn variiert von Projekt zu Projekt. Hierbei muss jedes System für sich betrachtet werden. Damit das System einwandfrei funktioniert, ist es wichtig, die sich ständig ändernden Anforderungen zu berücksichtigen, das System muss leicht verständlich sein. Es darf nicht ein einzelner Anwendungsfall mit dem Logistik-Alltag verglichen werden, jedoch kann man diesen als Benchmark heranziehen. Ziel sollte immer sein, einen optimalen Betrieb der Anlage sicherzustellen. Es geht um die Qualität, um die Lieferzeit, auch aber geht es um Nebenfaktoren wie beispielsweise den Stromverbrauch oder die optimale Ressourcenplanung.
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz beim Thema Omnichannel, also dem gleichzeitigen Bespielen verschiedener Vertriebskanäle wie Ladengeschäft und Online?
Das Thema Omnichannel spielt in der Logistik eine immer größere Rolle. Das Thema E-Commerce ist ebenfalls ein großes Thema für die gesamte Intralogistik – sei es Automation- oder IT seitig getrieben. Um optimal die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen, führen wir mit unseren Kunden sehr oft Plattform-Diskussion durch: Beispielsweise könnte sein, dass einer unserer Kunden mehrere ERP-Systeme und ein bis n Lagerstandorte hat. Es geht darum, eine Plattform als Zwischenschicht zu haben, in der alle Bestände der Lagerstandorte zentral verwaltet werden können. Auch hier geht es um die Optimierung der Kommissionierung: Splitte ich vielleicht sogar einen Auftrag und kommissioniere einen Teil von Lager 1, einen anderen von Lager 2, weil der Kunde dann seine Lieferung schneller bekommt? Das Thema Lieferzeiten wird bei unseren Kunden ebenfalls immer wichtiger. Diese Plattformfunktionalität sind für uns sehr bedeutend.
Gerade im Bereich Omnichannel ist Flexibilität ein Riesenthema: Nehmen wir mal an, ich habe 50 Filialen, 50 große Kommissionier-Aufträge und plötzlich kommen 150 E-Commerce-Aufträge. Folgende Frage stellt sich nun: Würde ich diese am Ende der Filial-Kommissionierung anreihen? Die Lieferung würde dann vielleicht erst am nächsten Tag in die Kommissionierung gehen. Bereits jetzt verfügt unsere Software Wamas über viele Algorithmen, die sich durch eine Optimierung der Auftragsreihenfolge Zeiteffizienz erwirken. Diese Themen sind wirklich sehr spannend.
Wenn dann noch etwas schiefgeht, ist noch mehr Flexibilität gefragt…
Richtig, wenn in einem Lagersystem eine Gasse ausfällt, dann bestehen zwei Probleme: Gibt es diese Bestellzeilen aus dieser Gasse auch noch anderswo im Lager und kann der Auftrag trotzdem erfüllt werden. Die Software muss anhand von Algorithmen diese Störung ausgleichen und einen optimalen Lagerfluss garantieren. Gerade im E-Commerce-Kontext ist der Anspruch an eine möglichst zeiteffiziente Auslagerung besonders hoch.
Sie haben ja schon gesagt, dass Sie prinzipiell Einsatzmöglichkeiten in allen Bereichen sehen, also bei manuellen Lägern, bei automatisierten Lägern, auch bei Groß und Klein. Andererseits klingt es dann aber doch so, als ob der Großteil der Potenziale bei komplexeren Systemen mit möglichst vielen Daten liegt. Wäre das dann nicht wieder nur etwas für die größeren Logistiker, die mehr Durchblick durch die Kette haben, einfach mehr Daten haben?
Das kann man so nicht ganz sehen, von KI Systemen profitieren Unternehmen unabhängig von der Größe bzw. Ausrichtung. Hier steht die Komplexität der Aufgabenstellung im Mittelpunkt und nicht die Größe des Unternehmens. Weiters spielt die Datenverfügbarkeit eine große Rolle. In einem Unternehmen mit vielen bestehenden Daten ist es einfacher basierend auf diesen Daten bestimmt Algorithmen zu definieren. Wenn keine Daten vorhanden sind, müssen diese erst gesammelt werden. Die Ausschöpfung des gesamten KI potenzial ist somit für große sowie für kleine Unternehmen gegeben und die Umsetzung ist bei beiden hochinteressant, da unterschiedliche, spannende Herausforderungen gegeben sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
SSI Schäfer ist auf der Transport Logistic, Halle A3, Stand 109.
Unter dem QR-Code oder
https://www.youtube.com/watch?v=KA_gnH7wpxk
finden Sie die Runde zum Thema »Künstliche Intelligenz in der Intralogistik – Zukunftshoffnung oder Spannungsfeld?«