Während Robo-Taxis in Deutschland ausgebremst bleiben, könnte der Güterverkehr zum entscheidenden Innovationstreiber werden. Unsere Autoren erklären, warum die Logistik aus ihrer Sicht der Schlüssel zum autonomen Fahren sein kann. Als besonders vielversprechend sehen sie den Einsatz im Bereich der temperaturgeführten Logistik.
Die Logistikbranche steht unter Druck. Personalmangel, steigende Energiepreise, wachsende Anforderungen an Flexibilität und Nachhaltigkeit belasten das System. Besonders betroffen: Der Straßengüterverkehr, der mit immer weniger Fahrern immer mehr Waren transportieren muss – schnell, günstig und am besten rund um die Uhr. Autonomes Fahren könnte hier zum Gamechanger werden. Denn obwohl die Technik längst einsatzbereit ist, bleibt der reale Betrieb auf deutschen Straßen bislang weitestgehend Wunschdenken. Dabei ist autonomes Fahren nach Level 3 in Deutschland bereits seit 2021 erlaubt. Level 3 bedeutet: Fahrer dürfen die Hände vom Lenkrad nehmen, lesen oder aufs Handy schauen – bei einem Unfall haftet der Hersteller. Auch die Rahmenbedingungen für gänzlich fahrerlose Fahrzeuge (Level 4) wurden damals geschaffen. Deutschland war damit weltweit das erste Land mit einem nationalen Rechtsrahmen für autonomes Fahren. Ein echter Meilenstein.
Autonom fährt längst – nur nicht bei uns
Vier Jahre später scheint jedoch nicht viel passiert zu sein. Autonomes Fahren ist bislang ein Luxus-Feature mit seltener Nutzung, beschränkt auf Premiumfahrzeuge. In Mittelklassefahrzeugen bleibt autonomes Fahren ebenso Wunschdenken wie in der Logistik. Unterdessen fährt die Zukunft längst, beispielsweise in San Francisco oder Shanghai. Anbieter wie Waymo, Pony.ai oder Weride setzen hier Robo-Taxis ein, die mit Radar, Lidar und Kamerasystemen ausgestattet sind. So erfassen sie ihre Umgebung millimetergenau und transportieren Fahrgäste fahrerlos und souverän von A nach B. Der Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) und Deep Learning sorgt dafür, dass die Fahrzeuge auch komplexe und unübersichtliche Verkehrssituationen erkennen und interpretieren können. Damit rückt ein Fahrverhalten auf menschlichem Niveau in greifbare Nähe – mit Maschinenpräzision
Ein zentraler Erfolgsfaktor: Der Business Case überzeugt. Die Fahrzeuge sind rund um die Uhr einsetzbar, Personalkosten für Fahrer entfallen. Dank hoher Auslastung amortisieren sich die Anschaffungskosten schnell – und jeder zusätzliche Kilometer bedeutet Gewinn. Für Investoren ist es hochattraktiv, in Anbieter von Robo-Taxis zu investieren. Das treibt die Entwicklung voran.
Autonom, effizient, gewinnbringend
Zwar unterscheiden sich Anwendungsbereich und Anforderungen, doch auch im Güterverkehr ließen sich ähnliche ökonomische Argumente anbringen. Aufgrund der diversen Druckfaktoren der Branche ist auch hier der Business Case überzeugend. LKW, die rund um die Uhr unterwegs sein können, ohne an gesetzliche Ruhezeiten gebunden zu sein, bedeuten enorme Produktivitätsgewinne. Kombiniert mit intelligentem Flottenmanagement lassen sich Auslastung und Streckenplanung deutlich optimieren. Hinzu kommt das sogenannte Platooning. Mehrere LKW fahren dabei mit sehr geringem Abstand hintereinander her, elektronisch gekoppelt und durch ein führendes Fahrzeug gesteuert. Das reduziert den Kraftstoffverbrauch durch Windschatteneffekte und erhöht Effizienz und Umsatzpotenziale.
Gerade für standardisierte Transportaufgaben auf Autobahnen und Logistikkorridoren bietet sich autonomes Fahren an – etwa zwischen Zentrallagern, Umschlagplätzen oder Logistikhubs. Besonders vielversprechend ist der Einsatz im Bereich der temperaturgeführten Logistik. Die Transporte verlaufen meist entlang definierter Routen zwischen Zentrallagern und Verteilstationen – ideal für geplante, wiederkehrende Fahrten nach Fahrplan. Kombiniert mit der hohen Strukturierungs- und Automatisierungsdichte in diesem Segment lassen sich hier autonome Fahrstrategien besonders gut integrieren. Auch Nachtfahrten, präzise Zeitfenster und strenge Temperaturanforderungen sprechen für den Einsatz autonomer Technologien – sie schaffen gleichzeitig Mehrwert und Sicherheit.
Die Logistik als Türöffner?
Möglich also, dass die Logistik zum entscheidenden Hebel für den Durchbruch des autonomen Fahrens in Deutschland wird. Robo-Taxis werden es voraussichtlich nicht, ihr Einsatz scheitert hierzulande an der Regulatorik: Das Personenbeförderungsgesetz lässt derzeit keine kommerzielle fahrerlose Personenbeförderung zu. Im öffentlichen Nahverkehr existieren einige vielversprechende Pilotprojekte. Das Potenzial ist auch hier groß, es wird fleißig getestet, doch absehbar werden autonome Projekte im öffentlichen Nahverkehr regional begrenzt bleiben.
Die Logistik bringt eine andere Ausgangslage mit: hoher wirtschaftlicher Druck, akuter Personalmangel, standardisierte Prozesse – ideale Bedingungen für autonome Technologien. Erste Anwendungen gibt es bereits im innerbetrieblichen Bereich: etwa autonome Schlepper auf Werksgeländen oder automatisiertes Rangieren auf Logistikhöfen. Doch die großen Effizienzgewinne entstehen erst, wenn solche Systeme auch auf öffentlichen Straßen unterwegs sein dürfen – flächendeckend, rechtssicher und wirtschaftlich tragfähig. Genau hier fehlt es: Eine tragfähige gesetzliche Grundlage existiert bislang nicht.
Technik vorhanden, Wille gesucht
Neben einer angepassten Gesetzgebung könnte auch gezielt Infrastruktur geschaffen oder bestehende umgewidmet werden. Denkbar wären etwa spezielle Fahrspuren auf Autobahnen, die ausschließlich von autonomen Fahrzeugen genutzt werden dürfen. Solche Strecken ließen sich über regionale Sondergenehmigungen schneller realisieren als eine flächendeckende regulatorische Öffnung. Derartige Maßnahmen könnten als kontrollierte Testfelder dienen, realitätsnah, aber rechtlich abgesichert. Zudem sind die Hersteller gefragt. Sind die großen Nutzfahrzeugbauer schon bereit, automatisierte LKW für solche Szenarien seriennah auf die Straße zu bringen?
Sie sollten es sein. Denn Technologie und ökonomisches Potenzial sind da – es fehlt der Wille: Die Skepsis in der Gesellschaft ist groß, in Politik und Wirtschaft gibt es kaum konkrete Anstrengungen, autonomes Fahren zu fördern oder voranzutreiben. Genau hier kann die Logistik zum Innovationstreiber werden. Es könnte sich lohnen. Die Branche bringt den nötigen wirtschaftlichen Druck mit, hat klar umrissene Anwendungsfälle – und einen attraktiven Business Case. Gerade in der temperaturgeführten Logistik, wo jede Minute zählt, kann autonomes Fahren Effizienz und Frische sichern.◂
Dr. Stephan Blankenburg, Oliver Wucher, Thomas Haiz
Unsere Autoren
Unser Autoren Dr. Stephan Blankenburg, Stuttgart, und Oliver Wucher, München, sind Partner bei Wavestone Deutschland. Unser Autor Thomas Haiz ist Senior Manager bei Wavestone Schweiz, Zürich.
Quelle: iStock, metamorworks








